FREISING. Grenzen – ein Wort, das bei den meisten Menschen negative Assoziationen weckt: an Grenzen stoßen, Grenzen aufgezeigt bekommen, Grenzen überwinden müssen. Für gewöhnlich sind Grenzen nur schön, wenn sie fallen und verschwinden – und selbst dann hinterlassen sie Spuren, mal in der Landschaft, oft auch in den Köpfen. In ihrer neuesten Ausgabe widmet sich die Zeitschrift „OST-WEST. Europäische Perspektiven“ (OWEP) dem komplexen Thema „Leben mit Grenzen“.
Das Heft untersucht dabei vor allem die konkreten Grenzerfahrungen der Menschen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. So berichtet der Journalist Thomas Urban, wie die polnische Ostgrenze in den vergangenen Jahren zum internationalen Konfliktfall geworden ist und analysiert am Beispiel der Flüchtlingssituation an der polnisch-belarussischen Grenze, welche Konsequenzen politisches Kalkül für die in Not geratenen Menschen hat.
OWEP-Chefredakteurin Gemma Pörzgen schreibt in ihrem in Georgien recherchierten Beitrag über die völkerrechtswidrige „Grenze“ zu Südossetien, die von den russischen Besatzern in den vergangenen Jahren immer wieder mal willkürlich verschoben wurde, so dass mancher Bauer sein Feld von einem Tag auf den anderen auf der russischen Seite wiederfand.
In Kittsee, einem kleinen Ort im Burgenland, beschreibt die Journalistin Nina Mayer das Leben an der Grenze zur Slowakei. Dort ist die österreichische Grenzgemeinde von einem Dorf im Niemandsland immer mehr zu einem „Vorort“ von Bratislava geworden und hat die Dorfstruktur völlig verändert.
Den Schengen-Raum sieht der Kulturanthropologe Bernd Kasparek als eine der großen Errungenschaften des europäischen Projekts. Er analysiert die Entwicklung europäischer Grenzen bis hin zum Schengen-Abkommen. Seit fast 15 Jahren befinde dieses sich allerdings in einer Krise: „Der Mut und das gegenseitige Vertrauen, das den Beginn des Schengener Modells kennzeichnete, sind schon lange verlorengegangen", lautet seine Bilanz.
Eine Grenzerfahrung der besonderen Art hat die Buchautorin Rebecca Maria Salentin erlebt: Sie ist mit dem Fahrrad den europäischen Radweg abgefahren, der am ehemaligen Eisernen Vorhang entlang verläuft, vom Schwarzen Meer bis zur Barentssee. Ihr Fazit nach 10.000 Kilometern an einer der massivsten Trennungslinien des 20. Jahrhunderts: Die frühere Demarkationslinie ziehe sich auch da, wo sie nicht mehr existent sei, „wie eine Narbe durch Europa.“
- Lesen Sie den Artikel Die polnische Ostgrenze als neuer Konfliktfall.