Oberkirchenrätin Dr. Annette Noller erinnerte bei der Eröffnung des Festabends an die Gründung der Aktion „Hoffnung für Osteuropa“ für Menschen in schwierigen Lebenssituationen in Ländern Osteuropas vor 30 Jahren durch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Die Welt sei „leider an vielen Stellen stärker von den Chaosmächten geprägt als von den guten Werken der Schöpfung Gottes“, sagte die Vorstandsvorsitzende der Diakonie Württemberg. Es sei die Aufgabe von Christinnen und Christen, sich gegen Unrecht und für einen menschenfreundlichen Umgang miteinander einzusetzen. Noller sagte: „Dankbar sind wir auch für die vielen Journalistinnen und Journalisten, die uns durch Sozialreportagen und Erzählungen vorurteilsfrei und sachlich Lebensumstände vor Augen führen, die uns anfangs erschrecken lassen und dann hoffentlich zum Handeln animieren. Denn so kann Hoffnung wachsen.“
Beim Festabend wurde der Recherchepreis Osteuropa verliehen, ausgelobt von Hoffnung für Osteuropa, einer Aktion des Diakonischen Werks Württemberg, und Renovabis, der Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa. Kooperationspartner des Preises ist n-ost, Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung. Er zeichnet Reportagen über die Lebenswelten von Menschen im Osten Europas aus. Zwei Recherchen haben in diesem Jahr gewonnen. Über Kaitseliit, einen Freiwilligenverband des estnischen Militärs, recherchierte Kolja Haaf für sein Projekt „Wenn Adler flügge werden“. In einer Laudatio auf den Preisträger sagte Hanno Gundert: „Kolja Haaf hat ein Gespür für Themenpotenziale. Wie tickt dieses Land, in dem ein großer Teil der Bevölkerung zur Waffe greifen würde, um ihre Heimat zu verteidigen? Und mit wem identifizieren sich die russischsprachigen Esten?“ Haaf sei ein „Equilibrist und Meister der teilnehmenden Beobachtung“. Er leuchte „unvoreingenommen Facetten aus“ und halte die Dinge in der Schwebe.
Impressionen der Preisverleihung
Irina Peter und Arthur Bauer (Fotografie) setzen sich in ihrem Text „Kleine Schritte in Armenien“ mit der doppelten Diskriminierung von Frauen mit Behinderung auseinander. Das Rechercheprojekt hebe Menschen hervor, die trotz Diskriminierung ihre Würde bewahrten, sagte Dr. Markus Ingenlath, Geschäftsführer des Hilfswerks Renovabis. „Sie haben aufgezeigt, wie sich die Situation der Frauen verändert und wo es Verbesserungen gibt.“ Er ermutige sie, weiterhin ihre Stimme zu erheben für die, die nicht gehört würden.
Prof. Dr. Klaus Gestwa, Lehrstuhlinhaber und Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Eberhard Karl Universität Tübingen, sprach in einem Vortrag über Osteuropa zwischen den beiden Zeitenwenden von 1989 und 2022. Lange Zeit sei die Wendezeit der 1980er- und 1990er-Jahre vor allem als Geschichte von Freiheit und Frieden verstanden worden. Dabei hätte die Umbruchsphase auch viel Unbewältigtes hinterlassen – was nun sichtbar geworden sei.
Die Menschen in den Ländern im Westen Europas seien aber auch so sehr von den politischen Veränderungen überrumpelt worden, weil sie wenig über die Länder im östlichen Europa wüssten und ebenso wenig darüber, welche Kräfte in den vielen unterschiedlichen Gesellschaften wirken würden. „Ich halte viele Vorträge an Schulen und stelle immer wieder eine große Unkenntnis über die Länder im östlichen Europa fest“, sagte Gestwa. Er appellierte: „Wir haben die Pflicht, uns gut über diese Länder zu informieren.“