Von Burkhard Haneke, Renovabis-Geschäftsführer
Der 2014 von Papst Franziskus heiliggesprochene Johannes Paul II. war eine einzigartige Persönlichkeit, von prägender Kraft und Bedeutung nicht nur für die Kirchengeschichte, sondern auch für die säkulare, insbesondere europäische Geschichte. Das spürt man gerade in den Regionen, die vor drei Jahrzehnten noch hinter dem sogenannten „Eisernen Vorhang“ lagen. Wenn wir auf Besuchsreisen zu Projekten, die Renovabis unterstützt, in den Ländern Mittel- und Osteuropas unterwegs sind, begegnet uns vielerorts eine besondere Verehrung bzw. Wertschätzung des „polnischen Papstes“ Johannes Pauls II.. Vielen Menschen im Osten Europas, und nicht nur katholischen Christen, ist bewusst, welche Bedeutung dieser Papst für ihre Länder und Gesellschaften und natürlich für die Kirche hatte.
Im Zentrum seines Denkens stand stets die menschliche Person in ihrer Einzigartigkeit als Geschöpf Gottes. Dieser Mensch sei zur Freiheit berufen, wurde dieser Papst nie müde zu betonen. Ebenso aber, dass es keine Freiheit ohne Liebe gebe und die Fülle dieser Freiheit letztlich nur in der Ausrichtung auf Gott zu erreichen sei. Mit diesen Kerngedanken einer christlichen Philosophie hat Johannes Paul II. seinerzeit die kommunistischen Ideologien herausgefordert, zugleich aber den Menschen in seiner polnischen Heimat und weit darüber hinaus in Mittel- und Osteuropa Mut und Hoffnung gemacht.
Er war eine Schlüsselfigur auf dem Weg zu den friedlichen Revolutionen, die ab 1989 Stück für Stück die kommunistischen Systeme im Osten Europas zu Fall brachten. Der Fernsehjournalist Joachim Jauer brachte es einmal so auf den Punkt: „Die Machthaber fanden gegen den ersten Slawen auf dem Stuhl Petri kein Rezept“. Und Jauer erinnerte an den bedeutsamen Schluss der Predigt, die Johannes Paul II. bei seinem ersten Heimatbesuch als Papst im Juni 1979 auf dem Warschauer Siegesplatz hielt. Sie endete mit den viel zitierten Worten:
„Und ich rufe, ich ein Sohn polnischer Erde und zugleich Papst Johannes Paul II., ich rufe aus der ganzen Tiefe dieses Jahrhunderts, rufe am Vorabend des Pfingstfestes: Sende aus Deinen Geist! Und erneuere das Angesicht der Erde!“
Damit nahm der Papst das „Renovabis faciem terrae“ des Psalmes 104 auf, beließ es aber nicht bei diesem Zitat, sondern fügte – nach kurzem Schweigen – die bedeutungsvollen Worte hinzu: „dieser Erde“. Bei den Worten „dieser Erde“ soll er nach Augenzeugenberichten mit seinem Hirtenstab auf den Boden gestampft haben. Die Menschen auf dem Warschauer Siegesplatz haben diese Botschaft verstanden, ebenso aber auch die Machthaber in den Staaten des ehemaligen „Ostblocks“.
Matthias Drobinski, Redakteur der Süddeutschen Zeitung, unterstrich erst jüngst in einem Essay in der Herder-Korrespondenz diese Bedeutung Johannes Pauls II.:
„Da war ein Papst, dem die Grenzen des Eisernen Vorhangs nichts bedeuteten. Sein Glaube an Gott und an das Recht des Menschen auf Menschenwürde und Freiheit erwies sich als stärker als Materialismus und Marxismus.“
Aber der Papst war auf der anderen Seite immer ein Kritiker einer nur auf Gewinn und Profit ausgerichteten Marktwirtschaft, er war ein scharfer Kritiker eines bloßen Nützlichkeitsdenkens, das auch vor der Verzweckung des Menschen nicht Halt macht. Im Laufe seines Pontifikats wurde Johannes Paul II. (1978 bis 2005) zu einem „internationalen Mahner für die unteilbare Würde des Menschen vom Beginn bis zum Ende des Lebens. Er war überzeugt, dass der kapitalistische Materialismus und der egoistische Konsum nicht weniger Götzen sind als der materialistische Kommunismus“, sagt Drobinski, der – trotz mancher kritischer Anmerkungen – Johannes Paul II. einen „Jahrhundertpapst“ nennt.
Die menschliche Person stand, wie schon gesagt, immer im Zentrum des Denkens von Johannes Paul II. Das Menschsein des Menschen war für ihn letztlich aber nur zu verstehen in der Ausrichtung auf Gott als den Schöpfer und damit als den Ursprung der Bestimmung von Gut und Böse. Der polnische Papst wandte sich stets gegen die falsche Auffassung vom Menschen, der glaubt, sich selbst genug und „Schöpfer seiner eigenen Geschichte“ sein zu können. Die Erneuerung des Angesichts der Erde – „dieser Erde“ – sei nur möglich, wenn diese falsche Auffassung vom Menschen überwunden wird. An ihre Stelle müsse die Anerkennung Gottes als Fundament des Guten treten, das größer ist als jegliches Böse und diesem Grenzen setzt.
Auf die Ambivalenz, der man sicher in vielen, wenn nicht allen großen Persönlichkeiten in Kirche und Welt begegnet, weist der Kirchenhistoriker Jörg Ernesti auch bezüglich Johannes Pauls II. wohl zu Recht hin. Seiner Verehrung in Polen (aber auch anderen mittel- und osteuropäischen Ländern) stehe „größere Zurückhaltung, bisweilen sogar Ablehnung in Westeuropa“ gegenüber. Es sei schwer, schrieb Ernesti unlängst in der Herderkorrespondenz, den langen Pontifikat dieses Papstes auf einen Nenner zu bringen:
„Unverkennbar progressive, zukunftsweisende Züge stehen konservativen, autoritären gegenüber. Er hat wichtige Impulse gegeben und der Kirche den Weg ins dritte Jahrtausend gewiesen – aber andere Entwicklungen gehemmt.“
Auf die hier angedeutete Ambivalenz, Komplexität und Widersprüchlichkeit kann und soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Der heilige Papst Johannes Paul II. wird wohl immer jemand bleiben, an dem man sich in den kirchenpolitischen und theologischen Diskussionen reibt. Und ebenso wird er eine große Gestalt sein, an der viele sich aufrichten und orientieren. Mit Blick auf die Kirche in Osteuropa, ihre Spiritualität und Glaubenskraft, gilt das Letztere aber sicher in besonderer Weise.